Herr Krause, Werkverträge stehen in der öffentlichen Kritik? Warum sind sie dennoch so wichtig?
Werkverträge sind für die Wirtschaft nicht wegen der Lohnunterschiede zwischen eigenem Personal und den Mitarbeitern der Dienstleister interessant. Die Lohndifferenz ist in der Regel gar nicht groß. Besonders in Ballungsgebieten findet auch der Dienstleister kaum Personal unter Handels- und Industrieniveau. Der werkvertragliche Dienstleister übernimmt das gesamte Personalmanagement, sämtliche Recruiting-Maßnahmen, die Einstellung, die Einarbeitung, die Personaleinsatzplanung und führt dann das Gewerk aus. Er trägt auch das komplette wirtschaftliche Risiko. Hierfür ist in Teilbereichen so viel Personal an einem Standort notwendig, dass dieses nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu bekommen ist. In diesen Fällen ist das Werkvertragsunternehmen in erster Linie als Personalbeschaffer und Organisator gefragt.
… und sorgt für Flexibilität?
Diese Themen betreffen in erster Linie eben die Fleischindustrie und in Teilen auch die Warenkommissionierung in Lägern, die oftmals ähnliche Probleme haben wie die Fleischwirtschaft: die Menge an Personal zu bekommen, um die immer engeren zeitlichen Lieferketten abzuwickeln. Das, was in Teilen der Fleischwirtschaft so problematisch ist, ist nicht der Werkvertrag, sondern die damit verbundenen problematischen Unterbringungssituationen. Diese werden sich aber nicht zwangsweise ändern, wenn die Fleischwirtschaft selber das Personal einstellt.
Deutsche Arbeitnehmer wohnen nicht so schlecht …
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt wird man nur wenige Menschen finden, die bereit sein werden, Tag ein, Tag aus, Schweine zu schlachten und zu zerlegen. Das ist ähnlich wie bei den Erntehelfern. Warum sonst war die Politik – trotz Corona – so schnell bereit, wieder im großen Stile Erntehelfer nach Deutschland zu holen? Es wurden ja sogar Flugzeuge gechartert. Und das, obwohl sehr viel Personal aufgrund von Kurzarbeit verfügbar war. In Deutschland ist die Bereitschaft, schwere körperliche Arbeit zu verrichten und dies gegebenenfalls unter wechselnden klimatischen Bedingungen wie auf dem Feld oder in Kühlhäusern, nur noch in geringen Teilen der Bevölkerung vorhanden. Gesucht werden vor allem Nine-to-five-Jobs, möglichst im Büro.
Auch wenn die Fleischwirtschaft gezwungen sein wird, das Personal selber einzustellen, wird es darauf hinauslaufen, das Personal aus dem Ausland zu holen. Dafür werden wieder Firmen beauftragt werden, es wird wieder Unterbringung notwendig sein. Es werden dann sozusagen Ganzjahres-Erntehelfer sein. Diese werden aber weiter zueinander die Nähe suchen, schon aus kulturellen und sprachlichen Gründen. Es wird sich wenig ändern.
Wie sehen die Werkverträge bei den ILS-Mitgliedern aus?
Unsere Branche ist in keiner Weise mit der Fleischwirtschaft vergleichbar. Hier geht es zum großen Teil darum, zwei- bis dreimal in der Woche in Supermärkten, in Drogerie- oder Baumärkten innerhalb von drei bis vier Stunden die komplette Warenanlieferung zu verarbeiten. Beschäftigt sind in der Regel Hausfrauen, Studenten, Schüler und Arbeitnehmer, die sich steuerfrei etwas dazuverdienen wollen, also meistens Minijobber. Diese wohnen meist in der Nähe ihres Arbeitsortes ganz normal im Familienverbund, sie werden nicht aus dem Ausland angeworben und dann in Sammelunterkünften untergebracht.
Unsere Mitglieder haben grundsätzlich ihren Sitz und Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland. Wir halten uns strikt an die rechtlichen Vorgaben. Die Mitgliedsunternehmen werden zum Teil durch Sozialaudits von unabhängigen Institutionen wie dem TÜV sowie den Behörden permanent geprüft. Dabei werden sämtliche Dokumentationen und Aufzeichnungen, Löhne, Rechtskonformität, Arbeitsschutz, Hygienestandards und vieles anderes in mehrtägigen Audits, mit Abrechnungs- und Aktenprüfungen sowie mittels unangekündigter Betriebsbegehungen und Mitarbeiterbefragungen abgeprüft. Nicht zuletzt stehen die dem ILS-Verband angehörenden Unternehmen in vollem Umfang in der Haftung nach deutschem Recht.
Sind sie also unverzichtbar?
Auch in der Zeit des Lockdowns haben die ILS-Mitglieder an über 5 000 Points of Sale geholfen, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. In dieser Zeit haben die Mitgliedsunternehmen die Ware von über 300 000 Lkw bearbeitet. Insgesamt wurden dabei mehr als neun Millionen Europaletten verräumt.
Aber können Supermärkte dies nicht selber bewältigen?
Viele Aufgabenbereiche im LEH können doch in manchen Regionen gar nicht mehr besetzt werden. Und wenn sie Personal bekommen, ist es nach kurzer Zeit wieder weg. Ware verräumen ist nicht sexy. Das ist einfach nicht der Berufswunsch vieler potenzieller Arbeitnehmer. Nicht umsonst geben die Großunternehmen – nicht nur aus dem LEH – Unsummen aus, um überhaupt Personal zu bekommen. Viele Auftraggeber der Mitgliedsunternehmen des ILS melden sich total entnervt, weil sie selber kein Personal mehr finden. Sie bekommen einfach nicht mehr die Regale voll. Das ist nicht verwunderlich. Ein Supermarktverantwortlicher hat ganz andere Aufgaben, als permanent für Personalnachschub zu sorgen: Frische, Obst und Gemüse-Pflege, Kundenberatung, Überwachung, Fleischqualität, Kassieren etc…Da hat ein gut aufgestellter Dienstleister ganz andere Möglichkeiten. Es ist ja seine Kernaufgabe, Mitarbeiter zu finden, auszubilden und die Regale in einer ganz kompakten Zeitleiste aufzufüllen.
Können Sie die Unterschiede konkret benennen?
Ich war früher selbst Leiter eines Lebensmittelmarkts in Berlin. Dieser wurde dreimal in der Woche beliefert. Schon damals gab es starke Personalprobleme. Wenn die Ware kam, waren wir alle zwei Tage damit beschäftigt, die Lieferung zu verräumen. Viele Aufgaben blieben liegen. Wenn Neuware kam, waren wir gerade mit der letzten Lieferung fertig. Gezielte Bestellungen waren kaum möglich. Das Lager war voll und wehe es wurde Sommer. Dann kam die doppelte Getränkelieferung, aber die Hälfte des Personals war im Urlaub oder krank. Wir haben zeitweise sogar sonntags gearbeitet. Ich weiß also, wovon ich rede. Dann wurde mein Markt Testmarkt für Warenverräumung auf Werkvertragsbasis. Ich werde nie vergessen, wie er nach dem ersten Einsatz des Dienstleisters aussah. In drei Stunden hat ein komplett neu zusammengestelltes Team – geführt von einem fähigen Leiter des Dienstleisters – die komplette Warenanlieferung verarbeitet. Alle Kartonlaschen waren abgetrennt, die Etiketten nach vorne ausgerichtet, der Markt sah aus wie zu einer Neueröffnung. Das hat meinen weiteren Lebensweg nachhaltig geprägt, wie man sieht.
Das vollständige Interview kann auch unter: https://www.lebensmittelzeitung.net/news/p/147495 nachgelesen werden.